Eine virtuelle Ausstellung von Studierenden der Goethe Universität Frankfurt am Main in Kooperation mit dem Karl-May-Museum Radebeul
Im August 2022 fand als Reaktion auf den Rückruf von Begleitbüchern zum Kinderfilm Der junge Häuptling Winnetou eine große mediale Auseinandersetzung mit Karl May und seinem Werk statt, in deren Mittelpunkt die Frage stand, ob seine ‚Indianerromane‘ heute noch zeitgemäß und lesbar seien. Wesentliche vorgebrachte Argumente gegen May waren sein vermeintlicher Kolonialismus, der das Leiden der indigenen Bevölkerung Nordamerikas ausblende, sein Rassismus und die Stereotypie seines Indianerbildes, das die reale indigene Bevölkerung Nordamerikas verletze. Als Gegenargumente dienten im Wesentlichen, dass Karl Mays Werk nicht nach heutigen Maßstäben beurteilt werden könne, sondern zeitlich kontextualisiert werden müsse und dass er wesentlich zum positiven Bild der Indianer in Deutschland und zum Interesse an ihrem Schicksal beigetragen habe.
An diese aktuelle Debatte knüpfte ein interdisziplinäres Seminar der Fachbereiche 8 und 10 der Goethe-Universität Frankfurt an: Die Teilnehmer*innen aus der Ethnologie und der Germanistik beschäftigten sich unter Berücksichtigung ethnografischer, historischer, literatur- und kulturwissenschaftlicher Aspekte kritisch mit Karl May, um sein Werk historisch einordnen und seinen Einfluss auf das deutsche Indianerbild beurteilen zu können. Da der Autor in vielen seiner Werke direkt oder indirekt auf frühere ethnografische und literarische Texte zurückgegriffen hat, war auch eine Beschäftigung mit diesen notwendig.
Bei der Auswahl von Mays Werken berücksichtigten wir Texte aus allen Schaffensphasen: Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling (1875), Old Firehand (1875), Winnetou I (1893), Winnetous Erben (1910). Das ermöglichte es, Veränderungen im Indianerbild des Autors nachzuverfolgen.
Um den Studierenden einen konkreten Einblick in die Welt Karl Mays sowie der indigenen Bevölkerung Nordamerikas zu geben, unternahmen wir eine Exkursion ins Karl-May-Museum Radebeul, wo wir uns in seinem Wohnhaus mit Leben und Werk des Autors sowie der von ihm genutzten Bibliothek und in der völkerkundlichen Ausstellung im Blockhaus mit der Lebenswelt der Indianer vertraut machten. Durch diesen Besuch wurde unser Blick auch auf die Rezeption und die Vermarktung von May nach seinem Tod gelenkt.
Diese Ausstellung ist Ergebnis sowohl der Arbeit im Seminar als auch dem Besuch im Karl-May-Museum, bei dem Themen bestimmt und Objekte ausgewählt wurden. Die Beiträge sind analog aufgebaut und beginnen mit einem Zitat meist aus einem der literarischen Texte Karl Mays, bevor das Objekt kontextualisiert, beschrieben und eingeordnet wird. Unterteilt ist die Ausstellung in drei Bereiche: ‚Vorbilder‘ geht auf die literarischen Quellen ein, die May nutze; ‚Vorwissen‘ reflektiert, welches ethnografische Wissen bei Leser*innen schon vorhanden war, wenn sie Karl Mays Erzählungen lasen; ‚Vermarktung‘ macht deutlich, wie der Autor Marketing betrieb und wie seine zweite Ehefrau es schaffte, ihn nach seinem Tod zu dem Autor zu machen, der heute als Ursprung der deutschen Indianerbegeisterung gesehen wird, obwohl er doch nur ein Symptom davon war.